16. Jun 2019
Jeder Zivilprozess ist mit Kosten verbunden. Ob sie von den Parteien getragen oder zumindest vorläufig vom Staat übernommen werden, hängt von kniffligen Einzelfragen ab. Im neu erschienenen Handbuch zum Thema „unentgeltliche Rechtspflege im Zivilprozess“ klären Rechtsanwalt David Fuhrer, seit 2018 bei Studer Anwälte und Notare tätig, und Rechtsanwalt Dr. Daniel Wuffli umfassend, welche Voraussetzungen für die unentgeltliche Rechtspflege (URP) erfüllt sein müssen, welche Wirkungen die gewährte URP zeitigt und wie die Entschädigung für den Rechtsbeistand bemessen wird. Das Handbuch, erschienen in der juristischen Publikationsreihe IN PRAXI, richtet sich in erster Linie an Praktiker aus Justiz und Anwaltschaft. Hier kann das Buch bestellt werden.
In einem Rechtsstaat muss jeder Person der Zugang zum Gericht offenstehen, da dieses über Streitigkeiten verbindlich entscheidet. Wird ein Streit vor Gericht ausgetragen, ist dies in aller Regel mit Kosten verbunden. Damit die Gerichte hierzulande rasche (verglichen mit anderen Staaten) und gleichzeitig qualitativ gute Entscheidungen fällen können, müssen sie über einen gewissen Personalbestand verfügen. Zur teilweisen Deckung desselben (der ungedeckte Teil wird über die Steuern finanziert) erheben Gerichte Gerichtskosten. Diese müssen nach geltendem Recht von jener Person, die ihren Anspruch geltend macht, also dem Kläger oder der Klägerin, vorgeschossen werden. Ausserdem erfordert die Einreichung einer Klage ein gewisses juristisches Know-How, weshalb der Beizug eines Anwalts oder einer Anwältin oft unumgänglich ist.
Wenn eine Person diese Kosten nicht tragen kann, gilt sie als mittellos und kann die unentgeltliche Rechtspflege beanspruchen. Mittellos bedeutet, dass mit dem zur Verfügung stehenden Einkommen und Vermögen die Gerichtskosten und der Anwalt bzw. die Anwältin nicht (vollständig) bezahlt werden können. Die Frage, ob jemand mittellos ist, hängt damit massgeblich von den zu erwartenden Prozesskosten ab, welche z.B. bei einer Scheidung, wo sich die Parteien über alle Punkte im Rahmen einer Vereinbarung einigen können, tiefer sind als bei einer strittigen Scheidung oder einer Klage über mehrere zehntausend Franken.
Bei der Abklärung der Mittellosigkeit stellt das Gericht die monatlichen Ausgaben den monatlichen Einnahmen gegenüber. Das vom Gericht erstellte Budget beinhaltet bei den Ausgaben unter anderem einen Grundbetrag (für Nahrung, Kleidung, Körper- und Gesundheitspflege etc.), die Wohnkosten, Krankenkassenprämien, Auslagen für Fahrten zum Arbeitsplatz und Steuern. Können diese Ausgaben mit dem Einkommen nicht gedeckt werden und sind auch keine nennenswerten Vermögenswerte (Bankkonto-Guthaben von mehreren tausend Franken, Wertschriften, Immobilien, die allenfalls hypothekarisch belehnt werden können, etc.) vorhanden, gilt die Klägerin bzw. der Kläger als mittellos. Kann auch der Ehegatte bzw. die Ehegattin nicht für die Prozesskosten aufkommen und haben die gestellten Anträge im Prozess Aussicht auf Erfolg, wird der klagenden Person die unentgeltliche Rechtspflege gewährt, d.h. die Gerichtskosten sind nicht vorzuschiessen und am Ende (vorerst) auch nicht zu bezahlen. Ist die Sache zu komplex für einen juristischen Laien, werden auch die Kosten für den Anwalt (vorerst) vom Kanton getragen.
„Unentgeltlich“ ist aber ein unpräziser Begriff: Wird vom Gericht festgestellt, dass der Kläger bzw. die Klägerin für die Gerichts- und die eigenen Anwaltskosten nicht aufzukommen vermag, werden diese lediglich gestundet, d.h. sie müssen derzeit nicht bezahlt werden. Dadurch wird sichergestellt, dass die Person, der etwas zusteht, nicht mehrere Jahre zuwarten muss, bis sie allenfalls die nötigen Mittel für die Durchsetzung ihres Anspruchs beisammen hat. Verbessern sich die finanziellen Verhältnisse, müssen Gerichts- und Anwaltskosten dem Kanton zurückerstattet werden. Der Kanton kann die Rückerstattung bis zu 10 Jahre nach Verfahrensabschluss verlangen, wobei die 10 Jahre von vorne beginnen, wenn der Kanton die Kosten innert der ersten 10-jährigen Frist eingefordert hat, diese aber nicht bezahlt werden konnten. Ausserdem gilt: Verliert die in unentgeltlicher Rechtspflege prozessierende Partei den Prozess, muss sie die Gegenpartei bzw. deren Anwalt entschädigen.
Weil die Ausgaben, die das Gericht anrechnet, relativ straff bemessen sind, können nur wenige Personen in unentgeltlicher Rechtspflege prozessieren. Dies dient auch dem Staatshaushalt und damit den Steuerzahlenden, die die unentgeltliche Rechtspflege letztlich finanzieren.
Es bleibt somit dabei, dass die Kosten für die Rechtsverfolgung in der Mehrzahl der Fälle durch die Klägerin bzw. den Kläger getragen werden müssen und sie nur ganz oder teilweise zurückerstattet werden, wenn das Gericht ein Urteil zu ihren bzw. seinen Gunsten fällt. Absichern kann man sich allenfalls durch eine Rechtsschutzversicherung. Letztlich können die Kosten der Rechtsverfolgung aber vor allem durch eine Vorkehr tief gehalten werden: Durch möglichst frühzeitige und verlässliche Rechtsgestaltung, so dass ein Streit gar nicht erst nötig wird. Als Faustregel werden die Kosten umso höher, je weiter der Streit fortgeschritten ist. Mit zunehmender Verfahrensdauer steigt in der Regel auch die Unzufriedenheit und Ungewissheit, zumal ein „Sieg“ vor Gericht nie garantiert ist. Dem Rechtssuchenden ist vor diesem Hintergrund nahezulegen, sich in rechtlichen Fragen möglichst früh beraten zu lassen, so dass im Idealfall Lösungen gefunden werden, bevor ein gerichtliches Vorgehen nötig wird. Dabei besteht auch die Möglichkeit, mit dem Anwalt bzw. der Anwältin ein Kostendach zu vereinbaren.